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Feuersbrunst in Uelzen: Die letzten Kriegstage im April 1945 (20.06.2006)

Dichte schwarze Rauchwolken stehen über der Stadt, Flammen schlagen aus schmucken Fachwerkhäusern am Herzogenplatz. Zwischen dem 13. und 18. April 1945 brennt ein Großteil des historischen Kerns Uelzens nieder. Die dramatischen Szenen wurden von einem britischen Soldaten mit einer Kamera festgehalten. Jahrelang schlummerte der Film im Archiv des Imperial War Museums in London, bevor der Historiker Horst Hoffmann ihn dort entdeckte und Horst Wunsch, damaliger Leiter des Kreismedienzentrums, den Schwarz-Weiß-Streifen im Auftrag des Landkreises erwarb. Dort schlummerte er zwei weitere Jahrzehnte, da die unkommentierten und nicht chronologischen Aufnahmen viele Rätsel aufgaben und somit für den didaktischen Einsatz in Schulen nicht geeignet waren.

Wegen der historischen Bedeutsamkeit des Films und eines allgemein großen Interesses an den damaligen Geschehnissen hat sich Jürgen Kruse, jetziger Leiter des Medienzentrums, zusammen mit KMZ-Kollegen und Mitgliedern der Geschichtswerkstatt inzwischen an die Aufarbeitung des Streifens gemacht. Eine wahre Mammutaufgabe. „Zunächst einmal müssen wir die einzelnen Szenen sequenzieren und in die richtige Reihenfolge bringen. Und dabei versuchen wir, die jeweiligen Schauplätze zu lokalisieren, was nicht immer einfach ist“, erklärt der ambitionierte Projektleiter. Um möglichst viel Licht in das Dunkel der letzten Kriegstage zu bringen und die Frage zu klären, weshalb das von den Engländern bereits besetzte Uelzen noch in Flammen aufging, wurden Zeitzeugen gesucht, die mit ihren Erlebnissen und Erinnerungen zur Aufarbeitung der Geschehnisse beitragen können.

Einer dieser Zeitzeugen ist Rudolf Oetzmann. Als Kradmelder musste der damals 16jährige im Frühjahr 1945 die schriftlichen Befehle der Kreisleitung zu den Einsatzstellen der Truppen bringen. Heute, mehr als 60 Jahre später, steht er Ulla Busse von der Uelzener Geschichtswerkstatt in einem Interview Rede und Antwort. Michael Haugrund, der Techniker des Medienzentrums, zeichnet das Gespräch auf. „Einer der Gründe, weshalb wir erst jetzt mit dem Film begonnen haben, ist der, dass wir das technische Equipment für eine professionelle Realisierung dieses Vorhabens noch nicht lange besitzen“, erklärt er. Zum Film-Team gehören außerdem zwei Abiturienten des Lessing-Gymnasiums, Imke Rueben und Johannes Bruns.

Für den 77jährigen sind die Gründe des Vorgehens der Engländer klar: „Im Gegensatz zu Hannover oder Celle hat Uelzen Widerstand geleistet, als die Briten näherrückten. Generalleutnant Martin Unrein gab damals den Befehl, die Stadt vier Tage lang zu halten, damit die Verteidigungslinie nach Norden verschoben und neu aufgebaut werden konnte. Dieses Unterfangen hat zu weiteren hohen Verlusten geführt“, berichtet er. „Dazu kommt, dass die Briten kurz vorher das KZ Bergen-Belsen befreit haben. In ihnen kochte einfach die Wut.“ Oetzmann selbst geriet in Hambrock in englische Gefangenschaft. Da er nicht uniformiert war, quartierte man ihn mit Frauen und Kindern in einer Scheune ein. Nebenan auf einem Apfelhof wurden gleichzeitig etwa 2000 deutsche Soldaten festgehalten. Der Junge beobachtete, wie die Briten mit Mörsern und Grantwerfern nach Uelzen reinschossen. „Ich habe aber nie beobachtet, dass sie mit Flammenwerfern hantiert haben“, kommentiert er bis heute kursierende, aber unbestätigte Gerüchte.

Sein Freund Claus Baumann, ebenfalls ehemaliger Kradmelder, hat erlebt, dass die meisten Feuerwehrleute damals gefangen genommen wurden, damit sie den Brand nicht löschen konnten. Er selbst sei in einer der Feuersnächte unterwegs gewesen, um von seinem Vater und einigen Nachbarn verlegte Gartenschlauchleitungen an- und abzustellen. „Plötzlich sah ich in den Pistolenlauf eines Engländers“, erinnert sich Baumann. Doch die Begegnung ging glimpflich aus. Dank seiner Sprachkenntnisse konnte er sein Gegenüber in ein Gespräch verwickeln und durfte sich anschließend sogar aus dessen Bonbonkarton bedienen. Als dunkelste Erinnerung ist Baumann der 7. April im Gedächtnis geblieben, als er einen Trupp von bewaffneten Landwehrleuten beobachtete, die Zeltlaken mit abgetrennten Gliedmaßen in schwarz-weißer Sträflingskleidung über ihren Schultern trugen. „Das waren KZ-Häftlinge aus Neuengamme und diesen Anblick konnte ich nie vergessen“, erzählt er. Jürgen Kruse und sein Team sind zufrieden.

Die Schilderungen der beiden Zeitzeugen passen gut zu den Szenen des Films. Zusammen mit den bereits zuvor gedrehten Interviews, in denen andere Überlebende des Krieges zu Wort kamen, fügen sich die Erzählungen allmählich zu einem runden Bild zusammen. „Vor uns liegt noch viel Arbeit. Aber wir wollen versuchen, bis Ende des Jahres unser fertiges Werk präsentieren zu können“, zeigt sich Haugrund optimistisch.